Psychische Belastungen aufgrund von Legasthenie

Im Fokus aktueller Studien sind internale und externale Störungen, der Selbstwert sowie Konzentrationsprobleme und Hyperaktivität. Folgen einer LRS bezeichnet man als Sekundärsymptome. Es gilt zu beachten, dass die im Zusammenhang mit LRS beobachteten Belastungen und Verhaltensauffälligkeiten nicht zwangsläufig eine Folge des Versagens sein müssen.
Soziale Auffälligkeiten wie aggressives und dissoziales Verhalten, das sich gegen Lehrer, Eltern oder andere Kinder richtet, werden als externale Störungen bezeichnet. Internale Störungen umfassen sozialen Rückzug, körperliche Beschwerden sowie Angst und Depression.
Kinder mit LRS können eine Reihe von emotionalen und psychologischen Herausforderungen erleben, die mit ihren Lernschwierigkeiten zusammenhängen. Es ist wichtig zu wissen, dass nicht alle diese Probleme haben, aber sie treten häufiger auf als bei Kindern ohne LRS. Gibt es im Unterrichtsfach Mathematik zusätzlich Schwierigkeiten, ist das Risiko der Entwicklung von sozial-emotionalen Problemen erhöht.
An einer Klinikstichprobe von Schülern*innen mit Lese- und Rechtschreibstörungen (LRS) wurden sowohl die Prävalenz als auch die Komorbidität psychischer Störungen untersucht. In einem Breitbandscreening, das die Child Behavior Checklist (CBCL) verwendete, wurden viermal mehr Verhaltensauffälligkeiten festgestellt als in der Normierungsstichprobe.
Am häufigsten traten Anpassungsstörungen aufgrund der Nichteinhaltung von Leistungsstandards, gefolgt von hyperkinetischen Störungen (z.B. Unaufmerksamkeit, Überaktivität oder Impulsivität) und Angstzuständen auf. Die hohe Rate von psychischen Belastungen deutet auf einen großen Bedarf an persönlicher oder psychotherapeutischer Unterstützung bei überwiesenen Kindern mit Legasthenie hin, die zusätzlich zu den auf Lese-Rechtschreibtraining ausgerichteten Interventionen angeboten werden muss. [1]
Ängste

In einer Metaanalyse von Nelson und Harwood (2011) wurde ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen der Schulleistung und Angstsymptomen festgestellt.
Kinder mit Legasthenie oder LRS können besonders anfällig für Ängste sein, insbesondere in schulischen oder leistungsbezogenen Situationen. Leistungs- und Bewertungsangst kann sich negativ auf das weitere Lernen auswirken, da schädliche Kognitionen wie „Das schaff ich niemals!“ Lösungsprozesse behindern. Es steigt das Risiko, Angst vor Leistung zu entwickeln, wenn man schlechte Leistungen erbringt.
Diese Erkenntnisse weisen auf die Wichtigkeit hin, bei der Unterstützung auch emotionale oder psychische Probleme zu berücksichtigen. [2]
Selbstkonzept und Motivation zur Leistung
Mehrere Studien deuten auf einen positiv korrelierenden Zusammenhang zwischen Leistungen in der Schule und dem leistungsbezogenen Selbstkonzept hin. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Kinder mit LRS ein geringeres Selbstkonzept für Lesen und/oder Rechtschreiben haben. Normalerweise ist dies spezifisch für die Bereiche Lesen und/oder Rechtschreiben und wirkt sich nicht auf andere Fächer oder das allgemeine Selbstwertgefühl aus. LRS-Kinder haben oft auch das Gefühl, dass sich ihre Mühe nicht lohnt. In der Regel führen weniger Fehler im Diktat nicht immer zu einer besseren Beurteilung und beim Schreiben eines Diktats wird oftmals ein Misserfolg erwartet. Wenn es um das Leistungsmotiv geht, überwiegt bei ihnen die Angst vor dem Scheitern. Insgesamt zeigt sich eine Anziehungskraft auf Misserfolg. Eine geringere Anstrengungsbereitschaft bei LRS-Kindern wird in den Arbeiten von Fischbach et al. (2010) und Kohn et al. (2013) bestätigt.
Aufmerksamkeitsprobleme
Klinische Studien (Schulz et al., 2003; Fischbach et al., 2010) und auch schulische Stichproben (Kohn et al., 2013; Schuchardt et al., 2015) informieren von vermehrten Aufmerksamkeitsproblemen bei LRS. Bei rund einem Fünftel dieser Kinder in Deutschland gibt es sogar Hinweise auf ADHS. Insbesondere wird der unaufmerksame Subtyp (ADS) mit LRS assoziiert.
Kinder mit Konzentrationsproblemen sind leichter ablenkbar und zeigen ein planloseres Vorgehen bei der Aufgabenlösung. Zudem ermüden sie schneller und überprüfen ihre Ergebnisse auch weniger. Dass diese Tendenzen dem Erwerb der Schriftsprache nicht dienlich sind, ist offenkundig. Vorschnelle Reaktionen wie z.B. das Erraten von Buchstaben beim Lesen führen aber nur selten zum gewünschten Erfolg.
Quellen:
1) Internalizing and externalizing syndrome in reading and writing disorders
2) Learning disabilities and anxiety: a meta-analysis
Dieser Artikel wurde gegengelesen von der Expertin:
Mag.a Claudia Dietrich
AHS-Professorin am Evangelischen Gymnasium in Wien
Psychologie und Philosophie
Schüler*innen und Bildungsberatung
Geprüfte LRS-Trainerin